„Unsere Tochter ist sehr ehrgeizig!“ Schön, wenn man sich als Eltern über Kinder freuen kann, die sich voller Engagement auf all die Dinge einlassen, die man im Leben lernen kann! Leider hat die Sache mit dem Ehrgeiz oft eine Schattenseite. Egal ob es um Laufen lernen, Fahrrad fahren oder Puzzeln geht, können sich ehrgeizige Kinder furchtbar aufregen. Wutanfälle beim Kleinkind gehören in manchen Phasen zur Tagesordnung. Wenn sich der Erfolg nicht schnell einstellt, wird geschimpft und geheult wird. Spätestens wenn aus Frust Malbecher umgekippt oder Streit mit Geschwistern entfacht wird, fragen sich Eltern besorgt: Wie umgehen mit dem Frust des Kindes? Zulassen oder eingreifen? Und ist diese Wut noch „normal“?
Ohne Frust-Moment keine Frustrationstoleranz
Muss man zulassen, wenn sich ein Kind aufregt, weil es frustriert ist? Andersherum gefragt: Wäre es besser, wenn das Kind seinen Frust nicht so ausleben würde? Auf keinen Fall. Denn die Fähigkeit, mit Misserfolgen umzugehen, ist ein äußerst wichtiges Lernfeld. Vielleicht ist es sogar wichtiger als die Dinge, die das Kind gerade können möchte. Weil kein Mensch mit der Kompetenz geboren wird, Misserfolge ungerührt einzustecken, muss Ihr Kind es diese Fähigkeit namens „Frustrationstoleranz“ erst erwerben. Und die lernt es natürlich nicht, ohne diese Erfahrung zu durchleben – mit allen unschönen Seiten. Misserfolge beim Spiel oder Lernen sind also die Basis, um Frustrationstoleranz zu erwerben.
Fragen Sie Ihr Kind: Warum warst du so wütend?
Also einfach das Kind immer mal wieder Frust erleben lassen? Vorsicht: Ohne Unterstützung können Frust-Erlebnisse auch zu Resignation führen. Kinder lernen nur aus Frust-Momenten, wenn man sie mit ihnen reflektiert und auswertet. Das heißt: Sprechen Sie mit dem Kind, nachdem der große Ärger verzogen ist, über die durchlebten Gefühle. „Was hat dich so aufgeregt? War es gut, mit dem Fuß aufzustampfen, zu schimpfen?“ Sprechen Sie auch darüber, wie es Ihnen oder anderen Beteiligten ging. Warum werden andere Menschen ängstlich oder sauer, wenn ein frustriertes Kind sich einfach nur über sich ärgert? Schlagen Sie vor, was Ihr Kind tun kann, bevor aus einem Einzel-Frust gemeinsamer Streit entsteht. Stecken Sie vielleicht auch eine Regel ab: Wütendes Toben ist erlaubt, Kaputtmachen und anderen wehtun nicht. Ergebnis solcher Gespräche kann die Einsicht sein: Sich ärgern, wenn was nicht klappt, ist ok. Es soll aber niemand anders darunter leiden.
Was tun, wenn die Wut groß ist?
Aber setzen Sie nicht zu früh auf weise Worte und Reflexionsbereitschaft! Während des Wutanfalls sollten Sie Ihrem Kind – wenn es nicht etwas Gefährliches dabei tut! – Raum für seinen Frust lassen. Kinder mögen es genau wie Erwachsene nicht, intensive Gefühle auf Knopfdruck zu regulieren, und natürlich beherrschen sie das viel schlechter als die Großen. Meistens tut es gut, das Kind von Ferne zu beobachten, um zu signalisieren: Du darfst dich auf deine Weise ärgern. Und wenn die Wut verraucht ist, wird alles wieder gut.
Frust-Momente präventiv vermeiden?
Sollte man vielleicht solche Momente, wo der Frust sich immer wieder entzündet, vermeiden? Auf diese Frage kann man zwei Antworten geben: Natürlich gibt es Momente, in denen Frust entsteht, weil man sich unerreichbare Ziele gesetzt hat. Weil Kinder schlecht einschätzen können, was sie entwicklungsmäßig schon beherrschen können, ist hier manchmal ein Tipp sinnvoll: „Ich glaube, das ist wirklich zu schwer für dich“. Aber daneben gibt es auch viele Herausforderungen, an denen sich das Kind ewig und intensiv abarbeitet, um nach durchaus frustrierenden Zwischenphasen mit Erfolg belohnt zu werden. Typische Beispiele sind Schwimmen und Radfahren lernen, genauso vielleicht Klettern, komplizierte Kreativ-Techniken oder Fußballtricks. Hier lohnt es sich, Ihrem Kind möglichst viele solcher Herausforderungen zu ermöglichen, damit es seinen Ehrgeiz ausleben kann. Natürlich sind auch Spiele, die motorische oder kognitive Herausforderungen beinhalten, ein gutes Frustrationstoleranz-Training.
So geht es mir, wenn ich frustriert bin
Wie geht es mir eigentlich bei Frust? Vielleicht der wichtigste Tipp ist es, Ihrem Kind zu vermitteln, wie Sie Ihre eigenen Frust-Momente durchleben. Es ist für Kinder oft hochinteressant, zu erfahren: Die scheinbar perfekten Erwachsenen, die alles zu wissen und Gefühle im Griff zu haben scheinen, geraten oft genauso „außer sich“ – nur zeigen sie es oft nicht so deutlich. Berichten Sie also Ihrem Kind, wann Sie sich furchtbar aufregen, gerne Dinge zerknüllen und am liebsten mit sich schimpfen möchten, weil Ihnen etwas partout nicht gelingt. Ihr Kind lernt dabei dreierlei: Erstens gehört Frust auch für Erwachsene dazu. Zweitens kann sich Ihr Kind manche Ihrer Tricks zur Frustbewältigung abschauen. Drittens versteht es Sie besser, wenn Sie mal wütend und frustriert sind: „Mama oder Papa sind nicht wütend auf mich, sondern sauer, weil wieder mal die Nudelsoße angebrannt ist – aber bald wird wieder alles gut.“
Dies ist ein Artikel unseres Gastautors Michael Fink. Er ist als Dozent in der Fort- und Weiterbildung von Erzieher:innen und Lehrer:innen tätig, Mitbegründer einer pädagogischen Fachzeitschrift und Autor von über 50 pädagogischen Fachbüchern.