Es ist ein Thema, über das Eltern ungern sprechen: Wenn Kinder an ohnehin stressigen Tagen bockig, quengelig oder richtig wütend werden, können auch die besten Mütter und Väter der Welt die nötige Gelassenheit verlieren. Was tun, wenn Lärm oder Streit an den Nerven zerren? Soll man versuchen, aufsteigende Wut zu unterdrücken, oder wird dann alles noch schlimmer?
Kleine Kinder und große Gefühle gehören zusammen
Dass das Zusammenleben mit kleinen Kindern manchmal die Geduld der Eltern strapaziert, liegt in der Natur der Sache. Denn erstens ist die Erziehung kleiner Kinder für die meisten Eltern eine völlig neue Erfahrung, bei der man manchmal an seine Grenzen gerät. Zweitens leben Kleinkinder ihre Gefühle sehr direkt aus, sie können schnell von überglücklich zu tieftraurig oder furchtbar wütend wechseln. Dass man sich von diesen heftigen Gefühlen manchmal anstecken lässt, ist eigentlich ein Zeichen tiefer Verbundenheit.
Typische Faktoren für Ärger herausfinden
Es gibt zum Glück viele Möglichkeiten, um sich davor zu schützen, bei Wutanfällen des Kindes allzu sehr mitzugehen. Dazu hilft es, sich vergangene Wut-Momente in Erinnerung zu rufen und zu überlegen, an welchem Punkt man sich so richtig aufgeregt hatte. Schließlich sind es oft ähnliche Situationen, in denen es zu Streit kommt. Typisch sind der Heimweg vom Kindergarten, gemeinsame Supermarktbesuche oder lange Fahrten. Oft hilft es, die Situation zu verändern, in denen Eltern und Kind miteinander in Streit geraten. Vielleicht braucht das Kind mehr Zeit zum Anziehen, eine gemeinsame Spielzeit zu Hause nach dem Tag in der Kita? Vielleicht habe ich als Erwachsener mir und dem Kind einfach zu viel zugemutet? Oft merkt man während solcher Stressmomente nicht, dass man durch einfache Veränderungen den eigentlichen Anlass gut vermeiden kann.
Strategien für den Umgang mit eigener Wut trainieren
Nicht jeder Anlass für Streit und nachfolgende Wut auf das Kind lässt sich beseitigen. Deshalb hilft es, sich Strategien auszudenken, um bei beginnender eigener Wut nicht zu „explodieren“. Verabreden Sie also mit sich selbst Strategien: Sollte ich kurz den Raum verlassen, einen Wutball knautschen, eine kurze Atemübung machen, ans offene Fenster gehen oder für einen Moment Augen und Ohren schließen?
Es ist gut, ein festes Ritual zu entwickeln, das Sie im hitzigen Ernstfall automatisch einsetzen können. Denn erstens kann Sie das entspannen. Zweitens versteht Ihr Kind irgendwann: Immer wenn Mama oder Papa tief Luft holen und so laut atmen, sind sie offenbar richtig sauer.
Wie Kinder den Umgang mit Gefühlen lernen
Wäre es besser, bekämen die Kinder von dem Ärger der Eltern nichts mit? Nein, Ihr Kind kann sogar von solchen Momenten profitieren, wenn Sie sie gut meistern. Denn Kinder sind bekanntlich absolute Beginner in Bezug auf Wut. Ihnen fällt es schwer, in Wutmomenten die Kontrolle zu behalten und hinterher mit den Folgen klarzukommen. Gleichzeitig sind sie gute Beobachter ihrer Umgebung und lernen Sozialverhalten durch Nachahmung. Da hilft es, wenn sie einen angemessenen Umgang mit Wut bei den liebsten Menschen beobachten können. So verstehen sie, dass jeder manchmal mit diesem Gefühl kämpft, und sie lernen, wie man mit Wut umgehen kann.
Damit solche Momente lehrreich sein können, ist es wichtig, sie später mit dem Kind zu besprechen. Erklären Sie also, wenn Sie sich aufgeregt haben, und die Wogen später wieder geglättet sind: „Ich war eben so traurig und sauer, ich hätte am liebsten ganz laut geschrien!“ Genau das dürfte Ihr Kind verstehen, weil es ihm auch so geht. Erklären Sie Ihre Strategie: „Dann bin ich kurz rausgegangen, habe an der frischen Luft tief geatmet, und dadurch wurde es besser!“ Diesen Trick kann sich Ihr Kind abschauen, ebenso wie die nachfolgende Bitte um Entschuldigung: „Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Wollen wir etwas Schönes machen, um die Sache zu vergessen?“
Gefühle im Spiel verstehen
Um nicht nur zu sprechen, hilft es auch, Auseinandersetzungen nachzuspielen. Dabei können Spielfiguren oder Kuscheltiere spielerisch aneinandergeraten und sich wieder versöhnen. Wie wäre es mit dem folgenden Spiel: Viele Holzfiguren – etwa die Zwerge von Zwergenstapel spielen zusammen ein wildes Spiel. Einem Zwerg aber ist das Spiel zu laut. Er will etwas Ruhiges spielen, deshalb gibt es Streit unter den Zwergen. Alle sind erst sauer, aber dann besprechen sie: Wie kam es zum großen Streit? Muss sich wer entschuldigen? Wie können wir so zusammen spielen, dass alle Spaß daran haben?
So tut Wut gut
Um die Sache mit der Wut zusammenzufassen: Wutausbrüche kommen in den besten Familien vor. Wer sich heftig liebt, kann auch manchmal heftig aneinandergeraten. Wut ist kein Schicksal, sondern meistens ein Hinweis auf ein Bedürfnis, das es zu entdecken gilt. Und der Umgang mit Wut ist eine Aufgabe zum gemeinsamen Lernen. Eltern wie Kinder können daran lernen, eigene Gefühle zuzulassen und bei anderen zu respektieren.
Dies ist ein Artikel unseres Gastautors Michael Fink. Er ist als Dozent in der Fort- und Weiterbildung von Erzieher:innen und Lehrer:innen tätig, Mitbegründer einer pädagogischen Fachzeitschrift und Autor von über 50 pädagogischen Fachbüchern.