Wer sein Kind mit einem Jahr in die Kita bringt, dürfte die Frage kennen: „Ist das nicht viel zu früh?“ Gerade Mütter müssen sich unterschwellige Kritik anhören: „Verpasst du da nicht die schönste Zeit mit dem Kind?“ Noch anstrengender sind vermutlich die Selbstzweifel. Wer lässt sich schon gerne unterstellen, sein Kind möglichst früh „loswerden“ zu wollen? Wie kann man selbstbewusst mit der Entscheidung umgehen, das Kind früh der Krippe oder Kita anvertraut zu haben?
Nicht über „normal“ und „ungewöhnlich“ nachdenken
In welchem Alter ist es richtig, sein Kind in fremde Obhut zu geben? Viele Menschen antworten auf die Frage mit einer klaren Altersangabe. Aber eigentlich hängt es vom Umfeld ab, ab wann eine „Fremdbetreuung“ von Kindern als normal gilt. So besucht der überwiegende Teil der Kinder unter drei in Skandinavien oder den Beneluxstaaten eine Kindertagesstätte, hingegen in Polen, Tschechien oder der Slowakei nicht einmal jedes zehnte. In manchen Ländern ist normal, was anderswo eine Seltenheit ist. Für ältere Menschen aus Westdeutschland mag es noch ungewöhnlich sein, das Kind zur Krippe zu schicken, für Großeltern aus Ostdeutschland total selbstverständlich. Wer pauschal sagt, ein früher Krippenbesuch sei nicht gut für’s Kind, ignoriert die positiven Erfahrungen der vielen Menschen in Ländern, wo dieses „normal“ ist.
Über unseren Sprachgebrauch nachdenken
Gebe ich mein Kind „in Fremdbetreuung“, weil ich „arbeiten muss?“ Oder gönne ich ihm „gemeinsames Lernen mit Gleichaltrigen“ unter der Leitung „qualifizierter Pädagog:innen“, statt es zu Hause in der Spielecke zu parken? Beide Sätze beschreiben die Betreuung des Kindes außerhalb von zuhause. Aber einmal wird von „fremd“ und vom „Zwang, arbeiten zu müssen“ gesprochen, das andere Mal von den Chancen frühkindlicher Betreuung. Um selbstbewusst zu Ihrer Entscheidung zu stehen, sollten Sie sich nicht von negativen Bezeichnungen verwirren lassen. Argumentieren Sie für sich und andere, welche Vorteile Sie in der Betreuung Ihres Kindes in der Krippe sehen! Übrigens: sind die geliebten Erzieher:innen etwa „Fremde“ für Ihr Kind? Gewiss nicht!
Das Erleben des Kindes im Blick haben – nicht die Klischees der Umwelt
Überfordert der Alltag in der Krippe mein Kind nicht? Gerade in der Anfangszeit nach verstärkter Einführung von Kleinkindbetreuung in Deutschland machten Ängste die Runde, wonach kleine Kinder durch zu frühen Krippenbesuch Schäden davontragen könnten. Dafür wurden Studien herangezogen, genauso auch das Hörensagen. Übersehen wurde dabei, dass man gut beobachten kann, ob der Krippenbesuch dem Kind guttut oder nicht. Als Eltern können Sie durch Hospitationen, Dokumentationen sowie Gespräche mit den Erzieher:innen gut verfolgen, ob Ihr Kind den Tag teilnahmslos und traurig verbringt. Oder ob es sich nach der Eingewöhnung schnell an die Vorteile des gemeinsamen Tages mit vielen Kindern gewöhnt, wie die meisten kleinen Kinder. Trauen Sie Ihren Eindrücken und den Worten der Erzieher:innen, statt sich durch pauschale Ängste verunsichern zu lassen!
Das Kind durch eigene Klarheit stärken
Kriegt Ihr Kind mit, wie Sie über dessen Krippenbesuch denken? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Art und Weise, wie Sie darüber mit ihm oder ihr sprechen. Bei der Frage: „War es heute ok in der Krippe oder warst du traurig?“, könnte Ihr Kind mit seinen feinen Antennen Schuldgefühle und Ängste heraushören. Die Frage „Na, hattest du viel Spaß, hast du toll gespielt?“, erlaubt dem Kind, die schönen Seiten des Tages im Auge zu behalten. Das ist, wenn das Kind wirklich in der Regel schöne Erlebnisse in der Krippe hat, keine Augenwischerei. Denn wenn das Kind spürt, dass Sie seinen Krippenbesuch toll finden, kann es sich viel besser darauf einlassen als wenn es vermutet, dass Sie damit nicht im Reinen sind. Das bedeutet: Wenn Sie sich frohen Herzens für die Krippe entschieden haben, hilft es Ihrem Kind, wenn Sie diese Klarheit mit ihm teilen: „Du bist da richtig!“
Bewusst gemeinsame Zeiten mit dem Kleinkind gestalten
„Verpasst du denn nicht die schönste Zeit mit dem Kind?“ Diese Frage verdient es, genauer angeschaut zu werden. Einerseits ist klar, dass Eltern von Krippenkindern viel weniger Zeit mit dem Kind verbringen als solche, die zu Hause bleiben. Andererseits kann man auch viel verpassen, wenn man unendlich Zeit hat. Sprich: Es kommt weniger auf die Menge gemeinsamer Zeit an. Sondern darauf, wie aktiv man sie gestaltet. Wer sich für Beruf und Krippe entschieden hat, sollte bewusst mit der knappen gemeinsamen Zeit umgehen. Wer sich Zeit nimmt für das Eis nach dem Abholen, das gemeinsame Spielen oder Puzzeln am Nachmittag – z. B. mit dem Puzzle Bauernhof – verpasst nicht die „schönste Zeit mit dem Kind“, sondern gestaltet und erlebt sie ganz bewusst.
Eine Liste der Vorteile anfertigen, die die Betreuung in der Krippe mit sich bringt
Bin ich mir trotzdem manchmal unsicher? Manchen Eltern hilft es, sich einmal die Vorteile der getroffenen Entscheidung bewusst zu machen. Dafür können Sie eine Liste mit klaren Plus- und Minuspunkten anfertigen. Notieren Sie alle positiven Erfahrungen, die Ihr Kind durch seinen Krippenbesuch macht – von Freund:innen, anderen Erwachsenen als Betreuende, Krippenspielzeug und gezielter Förderung, entspannten Eltern und sicheren finanziellen Verhältnissen. Listen Sie auch Ihre eigenen Vorteile auf, mit Zeit zum Abschalten und bewusster Konzentration auf das Kind, beruflichem Erfolg, ungestörten Einkäufen. Kritisch gesehene Punkte können Sie als Anlass nehmen, um über kleine, machbare Veränderungen nachzudenken, statt Ihr gesamtes Lebensmodell infrage zu stellen. Überlegen Sie, was wäre, wenn Sie daheimgeblieben wären. Ihr Kind und Sie selbst müssten auf alle genannten Vorteile verzichten.
Das Ziel: Selbstbewusste Elternschaft!
Auf einen Blick: Sicherlich ist es gut, intensiv über die Frage nachzudenken, wie man Beruf, Familienleben und Förderung des Kindes unter einen Hut bringen kann. Ist die Entscheidung für die Kita getroffen, tut es Kind und Eltern gleichermaßen gut, dies nicht unnötig infrage zu stellen. Genießen und gestalten Sie die wichtige Kleinkindzeit, zu der ein Krippenbesuch ganz selbstverständlich dazugehört!
Dies ist ein Artikel unseres Gastautors Michael Fink. Er ist als Dozent in der Fort- und Weiterbildung von Erzieher:innen und Lehrer:innen tätig, Mitbegründer einer pädagogischen Fachzeitschrift und Autor von über 50 pädagogischen Fachbüchern.